Vom Mut, Gedanken wirklich zu prüfen
Es braucht heute nicht viel:
Ein paar große Worte,
eine starke Meinung,
eine scheinbare Wahrheit.
Jemand sagt etwas –
und schon ist sie unterwegs:
Die Behauptung.
Die Geschichte.
Der neue Gedanke.
Und viele?
Sie folgen.
Sie übernehmen.
Sie wiederholen.
Ohne innezuhalten. Ohne zu prüfen.
Warum?
Weil es anstrengend ist zu denken.
Weil es Kraft kostet, zu reflektieren.
Weil es Mut verlangt, die Dinge infrage zu stellen –
und mit ihnen vielleicht auch sich selbst.
Denn wer ehrlich hinterfragt,
betritt eigenes, inneres Gelände:
Glaubenssätze,
Haltungen,
Weltbilder,
die wir oft gar nicht bewusst gewählt haben.
Sie sind einfach da.
Wie Gerüste,
wie Fundamente,
auf denen wir unser Selbstbild gebaut haben.
Das Bild vom Guten.
Vom Wachen.
Vom Richtigen.
Vom reflektierten Menschen.
Doch was, wenn wir merken:
Auch ich glaube.
Auch ich übernehme.
Auch ich lasse mich führen –
von Gedanken,
die ich nie selbst geprüft habe?
Glauben tun wir vieles.
Vor allem das,
was wir nicht wirklich wissen.
Oder wissen wollen.
Aber was wissen wir heute eigentlich noch wirklich?
Früher standen die sogenannten Wahrheiten auf Litfaßsäulen.
Heute schmettern sie dir an der Kasse der Tankstelle entgegen.
Sie flimmern über Bildschirme,
flüstern aus Kopfhörern,
schleichen sich durch Radiowellen in dein Ohr.
Große Buchstaben.
Große Töne.
Wenig Tiefe.
Schnell differenziert.
Schnell gestempelt.
Schnell geurteilt.
Und gerade deshalb braucht es heute mehr denn je:
Menschen, die innehalten.
Menschen, die sich nicht sofort positionieren müssen.
Menschen, die sich ehrlich fragen:
Was glaube ich eigentlich?
Was glaube ich wirklich?
Warum halte ich so fest daran?
Und:
Macht mich dieser Glaube zu einem besseren Menschen –
oder einfach nur zu einem sicheren?
Vielleicht ist genau das die wahre innere Arbeit in unserer Zeit:
Nicht mehr reflexhaft glauben.
Sondern bewusst fragen.
Raum schaffen.
Und die Antworten eine Weile in sich wandern lassen –
bevor man sich entscheidet,
sie zu tragen.