Neulich sah ich eine Werbung auf einem LKW:

Eine nackte Frauenhälfte räkelt sich lasziv über die Plane – um für ein Waschbecken zu werben.

Daneben ein anderes Motiv: Ein muskulöser Männerkörper, leicht verschwitzt, die Mechanikerhose tief auf der Hüfte – er verkauft: neue Autoreifen.

Wir nennen das ganz beiläufig “Sex Sells”.

Aber was genau verkauft sich da eigentlich?

Es ist ein altes Spiel. Körper als Blickfang. Reize als Strategie.

Meist jung. Meist glatt. Meist völlig losgelöst vom Produkt, aber garantiert nicht von der Absicht.

Das Problem ist nicht die Haut. Nicht der Blick. Nicht mal die Erotik an sich.

Das Problem ist: die Reduktion.

“Sex Sells” funktioniert, weil es Reflexe bedient.

Weil es Aufmerksamkeit erzeugt.

Weil es schnell, billig und kalkulierbar ist.

Doch was ist mit all dem, was subtiler ist? Was mit Würde einhergeht? Was mit echter Ausstrahlung wirkt – nicht durch den Schnitt des Kleids, sondern durch das, was jemand ausstrahlt?

Ich bin 62 Jahre alt.

Ich trage auf einem Foto einen geblümten Overall. Man sieht mein Dekolleté.

Und ich finde: Es ist schön. Nicht, weil ich jemanden verführen will.

Nicht, weil ich ein Like jagen oder ein Produkt bewerben möchte.

Sondern, weil ich finde, dass auch mit 62 noch Schönheit, Sinnlichkeit und Sichtbarkeit erlaubt sind.

Das sollte eigentlich kein Statement sein müssen.

Aber es ist eins. Weil wir gelernt haben, dass Sinnlichkeit an Jugend gebunden ist.

Weil wir in Bildern denken, in denen Alter oft mit Unsichtbarkeit einhergeht.

Weil ein Dekolleté mit 25 als anziehend gilt – und mit 60 plötzlich als „unangemessen“.

Das ist keine Frage von Moral. Es ist eine Frage von Macht.

Denn wer darf sich zeigen? Wer wird bewundert – und wer wird bewertet?

Und warum fällt es uns oft schwer, Schönheit jenseits der Klischees zu erkennen?

 

Ich plädiere für eine neue Sinnlichkeit. Eine, die nicht verkaufen will – sondern wirken darf.

Eine, die sich nicht versteckt – aber auch nichts beweisen muss.

Eine, in der Präsenz wichtiger ist als Pose.

In der Haut gezeigt werden darf – aber nicht immer mit Absicht.

Und in der Menschen nicht mehr erklärt bekommen, wie viel von ihnen sichtbar sein “darf”.

 

Mein Dekolleté ist kein Konzept.

Es ist einfach da.

Wie meine Falten. Wie meine Erfahrung. Wie mein Blick, mein Lächeln, meine Haltung.

Sex sells? Vielleicht.

Aber Sichtbarkeit ist wertvoller, wenn sie nicht gekauft werden muss.

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