Von Barbara Messer, Horizonautin

„Das will ich gar nicht wissen.“
„Ich bleibe lieber bei meiner Meinung.“
„Nein, das interessiert mich auch nicht.“

So oder so ähnlich klingen die Sätze, wenn Menschen die Tür zur Erkenntnis einen Spalt breit offen lassen – nur um sie gleich wieder zuzudrücken. Fast beiläufig, fast beiläufig aggressiv. Aussagen wie kleine Fluchten vor der Unsicherheit. Und zugleich Schutzbehauptungen vor dem, was an Veränderung drängen könnte. Denn hinter jeder neuen Information könnte eine Zumutung lauern: das Infragestellen des Eigenen. Der Blick über den Tellerrand klingt in Vorträgen inspirierend – aber im Alltag? Da ist er oft unbequem.

Und doch ist genau das der Punkt, an dem Entwicklung beginnt. Nicht dort, wo wir bleiben, sondern dort, wo wir wanken. Wo wir nicht mehr wissen, ob unser Weltbild noch trägt. Dort, wo Gewissheit sich in Fragezeichen verwandelt.

Die Würde des Festhaltens – und die Notwendigkeit des Loslassens

Zunächst einmal: Es ist völlig legitim, bei einer Meinung zu bleiben. Wer sagt denn, dass ständiger Wandel immer gut ist? Eine Haltung zu haben, bedeutet auch, Stand zu halten. Identität ist kein Spielball. Sie ist ein Gerüst, ein inneres Zuhause. Doch wenn wir gestalten wollen – wenn wir wirksam sein wollen in dieser Welt, nicht nur angepasst oder reaktiv –, dann müssen wir mit dem Unbequemen rechnen: dem Gedanken, dass wir nicht immer recht haben. Oder schlimmer: Dass unsere bisherigen Überzeugungen uns in eine Sackgasse führen könnten.

In meinen Coachings, Seminaren und Begegnungen fällt mir auf, wie oft Menschen das Nicht-Wissen mit einem Makel verwechseln. Als dürfe man nicht zweifeln. Als sei Klarheit gleichzusetzen mit Wahrheit. Dabei ist Klarheit häufig nur ein anderer Name für Gewohnheit.

Die Angst vor dem leeren Raum

Wenn Menschen sagen: „Das will ich gar nicht wissen“, dann ist das oft ein Schutzreflex. Denn wer Neues zulässt, riskiert die Instabilität des Bekannten. Vielleicht fallen alte Gewissheiten. Vielleicht löst sich ein Teil des Selbstbilds auf. Und was bleibt dann?

Leere.
Stille.
Nicht-Wissen.

Und genau diese Leere macht Angst. Sie erinnert an das, was wir so gerne vermeiden: das Gefühl, keinen festen Boden mehr unter den Füßen zu haben. Aber was wäre, wenn genau diese Leere ein kreativer Raum wäre? Ein Zwischenzustand, ein Raum der Neuordnung?

Ein Beispiel aus der Praxis

Eine Frau, Mitte 50, chronisch rheumakrank. Viele Jahre in medizinischer Behandlung. Eine Odyssee durch Arztpraxen, Kliniken, Schmerzmanagement-Programme. Doch als das Gespräch auf Ernährung kommt – auf mögliche Zusammenhänge zwischen Lebensstil und Entzündungsprozessen –, wird sie abwehrend. „Das will ich gar nicht wissen. Ich habe so schon genug zu tun.“ Und ich verstehe sie. Denn dieses Wissen würde nicht nur Veränderungen im Alltag erfordern. Es würde auch bedeuten, Verantwortung neu zu denken – nicht als Schuld, sondern als Handlungsspielraum.

Doch Handlungsspielraum macht Angst, wenn man ihn nicht gewöhnt ist. Wer immer nur auf äußere Lösungen hofft, der muss nicht entscheiden. Der darf klagen, darf fordern, darf hoffen. Aber er muss nicht verändern.

Faulheit – oder Schutz?

Das Wort Faulheit ist hart. Es klingt nach moralischem Vorwurf. Nach Schwäche, Trägheit, Bequemlichkeit. Aber ich sehe es differenzierter. Faulheit ist oft ein Code für Überforderung. Wir sagen, wir seien zu faul, weil es leichter ist, als zu sagen: „Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.“ Oder: „Ich bin erschöpft.“ Oder: „Ich habe Angst.“

Faulheit schützt uns. Sie macht es möglich, im Vertrauten zu bleiben. Und doch ist sie eine Falle, wenn sie dauerhaft wird. Denn wer in der Bequemlichkeit verharrt, spürt irgendwann eine innere Leere. Eine Unzufriedenheit, die sich nicht mehr wegdiskutieren lässt.

Horizonte verschieben sich nicht von allein

Als Horizonautin ist es mein tägliches Geschäft, Grenzen zu erkunden. Ich weiß, wie hart es ist, die eigene Meinung zu hinterfragen – und wie wertvoll es ist, genau das zu tun. Entwicklung beginnt dort, wo wir bereit sind, unser Denken zu dehnen. Nicht um jeden Preis. Nicht um der Veränderung willen. Sondern, weil unser inneres Wachstum nur dann stattfindet, wenn wir uns auf das Terrain des Ungewissen wagen.

Es ist wie mit einer Expedition: Wer aufbricht, weiß nie genau, was ihn erwartet. Aber wer bleibt, erlebt nur das Altbekannte – in immer neuen Variationen.

Kritisches Denken heißt nicht: Alles ablehnen. Es heißt: Genau hinschauen.

Ich plädiere nicht für Beliebigkeit. Ich plädiere für Differenzierung. Für einen Geist, der Fragen stellt, auch wenn er Antworten gewohnt ist. Für Menschen, die bereit sind zu sagen: „Vielleicht lag ich falsch.“ Oder: „Ich sehe das heute anders als früher.“ Oder sogar: „Ich weiß es nicht.“

In einer Zeit, in der Meinung oft lauter ist als Einsicht, braucht es Menschen, die den Mut zum Innehalten haben. Die nicht sofort reagieren, sondern reflektieren. Die nicht um jeden Preis recht haben wollen, sondern die Tiefe einer anderen Perspektive zulassen können.

Fazit: Die Einladung zum Wanken

„Das will ich gar nicht wissen“ – das ist eine Grenze. Und jede Grenze kann eine Einladung sein. Eine Einladung, genauer hinzuschauen. Was genau will ich nicht wissen? Warum nicht? Was steht auf dem Spiel?

Es braucht nicht immer eine Veränderung. Aber es braucht das ehrliche Fragen. Das Aufrütteln. Das Ausloten der eigenen inneren Architektur.

Denn vielleicht – ganz vielleicht – entsteht genau dort, wo wir nicht wissen wollen, ein neues Wissen. Ein neues Selbstverständnis. Eine neue Kraft.

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