„Das ist deins.“
Ein Satz, der oft von Menschen kommt, die sich für sehr aufgeklärt halten, wenn es um Projektionen und Übertragungen geht. Wenn sie bei anderen etwas auslösen und derjenige reagiert, ziehen sie sich zurück und sagen: „Das ist dein Thema.“ Doch was passiert dabei wirklich? Können wir uns so leicht aus der Verantwortung ziehen?
Stellen wir uns vor, wir stapfen durch unsere berufliche und private Welt, treten in Räume ein und verlassen sie wieder – ohne Rücksicht darauf, was unsere Worte, unsere Tonalität oder unsere Körpersprache bei anderen auslösen. Wenn wir alles, was wir verursachen, einfach als „deren Thema“ abtun, entsteht Distanz, Unachtsamkeit, vielleicht sogar Verletzung. Aber gehört uns nicht die Hälfte von dem, was im Miteinander passiert? Sind wir nicht zu 50 Prozent verantwortlich für das, was wir in anderen auslösen könnten?
Die Wahl unserer Worte ist Verantwortung
Unsere Worte sind nicht einfach nur Schall und Rauch. Sie haben Wirkung. Die Art, wie wir sprechen, was wir sagen und wie wir es sagen, formt die Atmosphäre eines Gesprächs, eines Raumes, einer Beziehung.
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Ein spitzes Wort kann verletzen, auch wenn es nicht so gemeint war.
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Ein liebevoller Ton kann beruhigen, auch ohne große Gesten.
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Ein scharfer Blick kann distanzieren, selbst wenn kein Wort fällt.
Jedes Mal, wenn wir kommunizieren, betreten wir einen Raum. Und wir entscheiden, wie dieser Raum sich anfühlt – ob er eng oder weit wird, ob er einladend oder abweisend wirkt.
Ich beziehe mich immer wieder gern auf das Zitat von Karlfried Graf Dürckheim: „Die Art und Weise, wie ein Mann durch einen Raum geht, entscheidet, ob es ein Stall oder eine Kirche ist.“ Es geht nicht darum, Stall und Kirche zu bewerten oder zu vergleichen. Es geht um die Präsenz, um die Haltung, mit der wir Räume betreten und gestalten.
Betrete ich einen Raum mit Achtung, mit Bewusstsein für das, was meine Worte und Gesten bewirken könnten? Oder betrete ich ihn mit Nichtachtung, mit einer Einstellung, die alles, was passiert, dem anderen zuschiebt?
Die Kunst der Achtsamkeit im Miteinander
Wenn wir glauben, alles sei „das Thema des anderen“, verlieren wir die Verbindung. Wir verpassen die Gelegenheit, Verantwortung für unseren Anteil zu übernehmen. Die Kommunikation wird einseitig, kalt, distanziert. Doch wahres Miteinander lebt von Achtsamkeit – davon, sich bewusst zu machen, dass unsere Worte und Taten Resonanz erzeugen.
Das bedeutet nicht, dass wir für die Emotionen und Reaktionen anderer Menschen verantwortlich sind. Aber es bedeutet, dass wir mitwirken. Dass wir Teil des Prozesses sind. Ein bewusstes Wort kann eine Tür öffnen. Ein unachtsames Wort kann sie zuschlagen.
Die Verantwortung teilen – 50 Prozent gehören uns
Was wäre, wenn wir uns nicht mehr hinter „Das ist deins“ verstecken? Was, wenn wir anerkennen, dass 50 Prozent des Geschehens uns gehören? Unsere Wahl der Worte, unsere Tonalität, unsere Körpersprache – sie alle hinterlassen Spuren. Wir können entscheiden, ob diese Spuren heilsam oder verletzend sind, ob sie verbinden oder trennen.
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Fragen wir uns: Habe ich gerade bewusst oder unbewusst gehandelt?
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Reflektieren wir: Was könnte mein Verhalten in dem anderen ausgelöst haben?
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Entscheiden wir: Will ich den Raum mit Achtung oder mit Gleichgültigkeit füllen?
Räume gestalten, statt durch sie zu stapfen
Wir haben die Wahl, ob wir einfach durch die Räume unseres Lebens stapfen oder ob wir sie bewusst gestalten. Ob wir in Beziehungen, in Gesprächen, in Teams mit Achtsamkeit handeln oder mit Nachlässigkeit. Wenn wir den Raum mit Achtung betreten, entsteht Verbindung. Wenn wir den Raum mit Bewusstsein füllen, entsteht Klarheit.
Am Ende geht es nicht darum, immer alles richtig zu machen. Es geht darum, sich der Wirkung bewusst zu sein, die wir haben – und diese Wirkung nicht als „das Thema des anderen“ abzutun. Denn wir gestalten die Welt nicht nur durch unsere Taten, sondern auch durch unsere Worte, unsere Präsenz und die Art, wie wir miteinander umgehen.
Also: Gehen wir mit Achtsamkeit durch die Räume unseres Lebens. Füllen wir sie bewusst. Denn die Hälfte davon gehört uns.