„Mein Chef verletzt mich.“
„Das Wetter ist schuld.“
„Die Politik hat versagt.“
„Damals, da hast du aber…“
Es ist leicht, Verantwortung abzugeben. Leicht, sich als Opfer zu fühlen. Die Welt liefert tagtäglich genug Gründe dafür. Die Umstände. Die anderen. Die Vergangenheit. Und wir sind geübt darin, sie zu nutzen. Für unser eigenes Zurückweichen, für unsere Passivität, für das Vermeiden von Veränderung.
Die Opferhaltung wirkt wie ein sicherer Hafen – doch sie ist ein Gefängnis. Wer sich in ihr einrichtet, lebt vom Vorwurf. Vom „Damals warst du“ und „Du hast aber“. Von Schuldzuweisungen, die bequem sind, weil sie Handeln überflüssig machen. Denn wer Opfer ist, muss nicht entscheiden. Nicht ändern. Nicht übernehmen. Er darf bleiben, wo er ist – und das klingt erstmal nach Entlastung.
Doch am Ende der Ausreden beginnt etwas ganz anderes: die Freiheit. Die Freiheit zu handeln. Die Freiheit, sich selbst anzusehen, sich zu hinterfragen, Verantwortung zu übernehmen. Nicht für alles – aber für das eigene Denken, Fühlen, Reagieren. Für die eigene Haltung.
Dazu gehört auch eine ehrliche Analyse: Warum nehme ich diese Rolle ein? Ist es ein altes Muster? Ein Reflex aus der Kindheit? Eine familiäre Prägung? Habe ich gelernt, dass Opfersein Zugehörigkeit sichert? Oder dass Retten Anerkennung bringt? Ist es das Klima im Unternehmen, das bestimmte Rollen immer wieder stärkt? Gibt es Prinzipien, die Opferhaltung fördern, Retter idealisieren und Täterrollen verschleiern?
Viele dieser Dynamiken lassen sich im sogenannten Drama-Dreieck nach Stephen Karpman beschreiben: Täter, Opfer, Retter – drei Rollen, die sich gegenseitig bedingen, sich abwechseln, sich festfahren. Und oft merken wir nicht einmal, dass wir mitten drin sind. Dass wir das Spiel mitspielen. Dass wir in einer Geschichte leben, die nicht unsere eigene ist.
Der Ausweg? Aussteigen. Beobachten. Erkennen, wann wir eine dieser Rollen einnehmen – und bewusst an die Seite treten. Nicht einsteigen, nicht retten, nicht anklagen. Sondern hinsehen. Raum schaffen. Verantwortung übernehmen, ohne sich zu verstricken.
Das bedeutet: unsere inneren Glaubenssätze zu überprüfen. Unsere Narrative zu hinterfragen. Die Regeln zu enttarnen, die wir in uns tragen – und die uns kleinhalten. Denn wer sich befreit, befreit auch andere. Wer aussteigt, macht das Spielfeld frei für echten Kontakt, für echte Begegnung, für echtes Handeln.
Und das ist keine leichte Aufgabe. Es erfordert Mut. Innere Größe. Und manchmal auch Schmerz. Aber genau darin liegt die Kraft. Denn echte Freiheit beginnt da, wo das Drama endet. Wo wir nicht mehr Teil des alten Spiels sind. Sondern bereit, ein neues Kapitel zu schreiben.
Nicht später. Nicht morgen. Jetzt.