Solange du hier sitzt, habe ich keine Ruhe.

es ist schwer, die passenden Worte zu finden. In mir ist alles angespannt. Meine Unruhe übersteigt meine eigene Kenntnis über mich. Sprach nicht Rilke vom Panther, der an den Gitterstäben scheitert. Es ist wie innerer Orkan, ein Toben ohne Namen, wie eine Flut ohne Ebbe. Dabei sehne ich noch so stark nach Ruhe. Nach innerer Ruhe. Nach Frieden in mir. Einem Frieden, der aus meiner eigenen Mitte kommt. Eine blasse Erinnerung habe ich. Vorsichtig schieben sie sich um die Ecke. Die Meditationen, damals im Seminar. Italien. Im Sommer. Urlaub. Alles schien leicht. Leichter. Vor allem leichter als jetzt.

Aber was heißt Ruhe? Heißt es, dass ich Frieden suche – oder dass ich vor mir selbst fliehe?
Ich sitze dir gegenüber und spüre es wieder: die Unruhe. Ich glaube, du bringst sie mit, dass sie von dir ausgeht, dass du der Sturm in meinem Inneren bist. Doch in Wahrheit… bist du ganz ruhig. Friedlich. Still. Es ist nicht deine Unruhe. Es ist meine. Auch wenn du traurig bist, hilflos, vielleicht in Sorge oder wütend.

Ich bin es, der keine Ruhe findet.

Weil ich nicht weiß, wie ich mit dir umgehen soll. Weil ich mit mir selbst nicht umgehen kann. Du sitzt hier, ganz nah, aber mein Herz weiß den Weg nicht. Es ist wie verkrustet, verschlossen, verkapselt in all den Jahren der Flucht.
Ich habe nie gelernt, die Wege nach draußen zu finden. Die Wege zu dir, zu anderen, zu echter Nähe.

Und so projiziere ich auf dich alles, was in mir brodelt. Meinen Schmerz. Meine Unsicherheit. Meinen Selbsthass. Ich sage mir, dass es an dir liegt. Dass du gehen musst, damit ich wieder Ruhe habe.
Doch jetzt, da du nicht mehr kommst… ist es auch nicht ruhig.

Weil das Problem nie du warst.
Ich war es, mit meinem Blick auf dich. Ein Blick voller Unfrieden. Voller alter Wunden, die ich nie angeschaut habe. Stattdessen habe ich dich instrumentalisiert. Dich beschimpft, dich zum Spiegel meiner eigenen Zerrissenheit gemacht. Ich habe dich verletzt, weil ich mich selbst nicht sehen wollte.

Und jetzt sitze ich hier. Allein. Und merke, wie sehr ich mich eigentlich nach dir sehne. Wie sehr ich mich freue, wenn du kommst – und wie schmerzhaft die Stille ist, wenn du nicht mehr da bist.
Aber vielleicht ist diese Stille nötig. Vielleicht zwingt sie mich endlich, mich selbst zu betrachten.

Ich sehe meine Einsamkeit, mein Unvermögen, wirklich verbunden zu sein. Niemand hat es mir je gezeigt. Niemand hat mir beigebracht, wie man Nähe aushält, ohne zu fliehen. Ohne zu kämpfen.

Es ist für mich neu. Ganz neu, obwohl ich längst erwachsen bin.

Und du, meine Liebe… du hast es mir gezeigt. Ohne Worte. Mit deiner Geduld. Mit deinem stillen Sitzen auf dem Sofa, während ich dich weggestoßen habe. Ich wollte, dass du gehst, weil ich nicht in Frieden sein konnte. Aber es war nie deine Aufgabe, mir diesen Frieden zu schenken.

Jetzt sitze ich hier und betrachte meine inneren Facetten. Wie Muscheln, die ich in der Hand halte. Wie Vogelbeeren an einem Baum. Jede einzelne Wunde, jedes Gefühl, jede Wahrheit. Wenn ich sie anschaue, wirklich anschaue, spüre ich, wie langsam Frieden einkehrt.

Wenn ich Frieden in mir habe, dann finde ich Ruhe.

Und dann, meine Liebe, darfst du wieder neben mir sitzen.
Dann kann ich es vielleicht endlich sagen: dass ich mich nach dir sehne. Dass ich dich vermisst habe.
Dass ich es lernen möchte. Dass du mir hilfst, ohne es zu wissen.

Solange du hier sitzt… habe ich vielleicht keine Ruhe. Aber vielleicht ist das auch gar nicht mehr das, was ich wirklich brauche.

In kompletter Unkenntnis über mich, K.

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