Ich weiß nicht, wohin mit mir heute Abend.

Irgendetwas treibt mich durch die Stadt, von Tresen zu Tresen, von einer Flasche zur nächsten, von einem Fremden zum anderen. Jeder könnte mein Beichtvater sein, jeder meine Zuflucht – und doch gibt es keine Bar, in der ich versinken kann, kein Getränk, das diese Schuld hinunterspült.

Mein Team. Mein verdammtes, großartiges Team. Ich habe sie verheizt. Ich habe sie geschliffen, als wären sie Maschinen, und nicht Menschen mit Leben, mit Verpflichtungen, mit Grenzen. Es fing harmlos an – Überstunden, die ich mir selbst abverlangte. Ich hielt sie für normal. Dann verlangte ich sie von ihnen.

Gen-Vest sollte groß werden. Dafür habe ich alles geopfert – nur leider nicht mich selbst, sondern die Menschen um mich herum.

Pascal, der gerade Vater wurde. Ich sah, wie müde er war, aber ich ließ ihn nicht früher gehen. Jeannette, die für einen Marathon trainierte – ich raubte ihr die Zeit für ihr Ziel, ihre Leidenschaft. Ich habe es nicht gesehen. Oder schlimmer noch: Ich habe es gesehen und es war mir egal. Hauptsache, der Pitch stand. Hauptsache, der Investor war beeindruckt. Hauptsache, Gen-Vest würde durch die Decke gehen.

Ich war gierig. Ich wollte das große Ding landen, koste es, was es wolle. Schnelligkeit, Wachstum, Erfolg – haben, haben, haben. Und jetzt? Jetzt sitze ich hier mit dieser Erkenntnis, dass ich all das wollte und doch nichts bekommen habe. Der Investor roch, dass etwas nicht stimmte. Und er hatte recht.

Was bleibt, ist mein Team. Diejenigen, die mir noch immer die Treue halten, obwohl ich sie in den Wahnsinn getrieben habe. Die Menschen, die ich an den Rand der Erschöpfung gebracht habe, sind dieselben, die mich noch nicht fallen lassen. Was für ein verdammtes Glück ich habe.

Und was für eine Verantwortung.

Ich kann das nicht ungeschehen machen. Aber ich kann mich entschuldigen. Nicht nur mit Worten, sondern mit Taten. Ich werde sie einladen – alle, mit ihren Familien, ihren Freunden, ihren Partnern, ihren Mitbewohnern. Ein Sommerfest, für sie, für die Zeit, die ich ihnen genommen habe. Eine echte Entschuldigung. Und dann werde ich sie persönlich aussprechen, jede einzelne.

Heute Abend fange ich damit an. Bei mir selbst.
Und wenn ich sie wiedersehe, dann bei ihnen.

Es tut mir leid. Und ich hoffe, dass ihr mir verzeiht.
Denn ich möchte weitermachen – mit euch.

Eurer Jürg

Gen-Vest soll groß werden. Aber nicht um jeden Preis.

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