Ich hab dich wohl verloren. Du, dich, mein einziger Sohn.

Seit Monaten versuche ich dich zu erreichen, doch du meldest dich nicht. Und so sehr es mir weh tut, selbst das habe ich in meiner kalten, stoischen Art irgendwann akzeptiert. Ich habe mich daran gewöhnt, nicht zu fragen, wie es dir wirklich geht. Oder vielleicht frage ich mich doch – aber ich lasse es nicht zu. Denn wenn ich ehrlich wäre, müsste ich mich dem stellen, was ich so lange verdrängt habe: Dass es womöglich zu spät ist. Zu spät, um zu verstehen, was ich angerichtet habe. Zu spät, um noch der Vater zu sein, den du gebraucht hättest. Der du dir vielleicht insgeheim gewünscht hast.

Es macht mir Angst, mir das einzugestehen. Der Gedanke, dass du in mir jemanden siehst, der dich enttäuscht hat – vielleicht sogar jemand, der dir weh getan hat – lässt mich erstarren. Ich habe mir immer eingeredet, ich sei beschäftigt gewesen. Mit der Arbeit, mit mir selbst, mit tausend Dingen. Aber die Wahrheit ist, ich war vor allem eines: Abgeschnitten. Abgeschnitten von meinen Gefühlen, von dir. Und das Schlimmste ist: Ich wusste es nicht einmal besser.

Ich hatte nie ein Vorbild. Keinen, der mir gezeigt hätte, wie man ein Vater ist. Wie man seine Liebe zeigt. Wie man für sein Kind da ist, ohne sich selbst dabei zu verlieren. Aber das rechtfertigt nichts, ich weiß. Es erklärt nur, warum ich so lange blind war. Blind für das, was wirklich zählt.

Ich erinnere mich an den Moment, als du entstanden bist. Als ich mit deiner Mutter zusammen war, und wir dich gezeugt haben. Ich wollte dich. Ich wollte dich, mehr als alles andere. Und dann… dann habe ich irgendwann aufgehört, zu wissen, wie es weitergeht. Ich habe es einfach nicht mehr geschafft, dich wirklich zu sehen. Dich zu spüren. Ich habe dich verloren, und das nicht erst seit diesen letzten Monaten. Wahrscheinlich schon viel früher.

Ich stehe hier, auf den Trümmern meines Lebens, und sehe den Scherbenhaufen, den ich hinterlassen habe. Es tut weh. Aber dieser Schmerz ist alles, was mir bleibt. Denn nur wenn ich ihn zulasse, kann ich vielleicht noch etwas gutmachen.

Gib mir eine Chance, mein Junge. Lass mich nicht mit dieser Schuld allein. Ich weiß, ich habe Fehler gemacht, viele. Aber ich will es besser machen. Ich weiß nicht, wie viel Zeit uns noch bleibt, aber die Zeit, die ich habe, möchte ich anders nutzen. Offener. Ehrlicher.

Ich wache gerade erst auf, nach all den Jahren, in denen ich mich selbst kaltgestellt habe. Vielleicht ist es zu spät, vielleicht nicht. Aber bitte, lass mich versuchen, dir zu zeigen, dass es mir leid tut. Dass du immer mein Sohn warst und immer sein wirst.

 

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