Mein lieber Mann,
ich sitze hier, die Stille um mich und mein Herz schwer vor Gedanken. Gedanken, die ich allzu lange von mir geschoben habe, weil sie schmerzen, weil sie mir zeigen, wer ich war und wer ich hätte sein sollen. Es ist nicht leicht, dir dies zu sagen, doch die Wahrheit muss ans Licht, denn sie schwillt in mir an wie eine Flut, die keine Ruhe mehr gibt.
Von Anfang an warst du die Festung, die ich brauchte, ein Ruhepol in meiner aufgewühlten Welt. Du, mit deiner stillen, unerschütterlichen Art, hast mir die Sicherheit geschenkt, nach der ich mich gesehnt habe. Doch ich erkenne jetzt, dass ich diesen Frieden nicht mit gleicher Münze zurückgezahlt habe. Stattdessen habe ich an dir gezogen, gedrängt, geformt, als wärst du ein unfertiges Werk, das meiner Verbesserung bedarf.
„Könntest du nicht…?“, „Wäre es nicht besser…?“, „Warum tust du nicht…?“ — diese Worte, die ich dir immer wieder entgegengebracht habe, kamen nicht aus dem Wunsch, dich zu stärken, sondern aus einer Unruhe, die ich in mir trug. Ich sehe nun, dass ich dich nicht so gelassen habe, wie du warst, wie du sein solltest — wie ich dich einst geliebt habe. Wie eine Mutter, die an ihrem Kind zerrt, ohne zu erkennen, dass sie damit den zarten Funken Eigenheit zu ersticken droht, so habe ich an dir genörgelt, getrieben von dem Glauben, es sei zu deinem Besten.
Aber jetzt, da ich hier sitze und der Schleier der Betriebsamkeit fällt, wird mir klar, wie wenig ich dich in Frieden gelassen habe. Wie ich uns beide in etwas hineingestoßen habe, das wir nicht sein sollten. Ich sehe die Müdigkeit in deinen Augen, wenn du lächelst, dieses leichte Zucken, das ich nun verstehe. Du hast so oft geschwiegen, mir Raum gegeben, in dem ich mich zu sehr ausbreitete.
Doch es ist nicht zu spät. Mit dieser Einsicht kommt auch Hoffnung. Ich will lernen, dich wieder so zu sehen, wie du bist — einzigartig, anders, genau richtig. Ich möchte deine Unterschiedlichkeit lieben, sie nicht mehr als etwas sehen, das ich verändern muss, sondern als das, was uns ergänzt und bereichert. Du bist genug, so wie du bist, und ich will meinen Teil dazu beitragen, dass du dies spürst. Ich will lernen, zu lieben, ohne zu formen, dich in deiner ganzen Eigenheit zu umarmen und dir den Raum zu geben, in dem du dich entfalten kannst.
Vergib mir, wenn du kannst. Und wenn du es schaffst, lass uns gemeinsam einen Weg zurückfinden, zurück zu dem Raum, in dem du du selbst sein darfst, und ich an deiner Seite mit neuer Achtung und Dankbarkeit stehe.
In tiefer Reue, Liebe und neuer Hoffnung, Deine Dich von ganzem Herzen liebende Frau.