Wir werden uns viel zu verzeihen haben, sagte der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn und schrieb sogar ein Buch dazu.

Doch wie geht man als Mensch im Alltag – womöglich als Verantwortlicher, Projektmanager oder Führungskraft damit um –  bestimmte Anordnungen umgesetzt zu haben und wie gelingt das Verzeihen? Insbesondere dann, wenn man die möglichen Folgen selber gar nicht ausreichend in den Blick genommen hat.

Dazu braucht es innere Größe – vor allem wenn der Kummer auf der anderen Seite größer ist als angenommen.

In meinen Coachings erlebe ich immer wieder Menschen, die es nicht aushalten können, wenn Betroffene – auch noch nach einer Entschuldigung – von den Konsequenzen und Auswirkungen des zu verzeihenden Verhaltens berichten. Sie gehen oft davon aus, dass es mit der Entschuldigung „getan“ sei. Und reagieren mit Ärger oder Hilflosigkeit, wenn der Andere immer noch davon berichtet.

Doch manchmal braucht mehr als eine Entschuldigung, in der ja auch der Begriff der Schuld liegt. Aus meiner Erfahrung ist es wertvoll, die Scherben, wie ich sie nenne, anzuschauen. Irgendetwas ist ja kaputt gegangen oder hat gelitten, manche Konsequenz hat Leid oder zumindest mehr als Unbehagen ausgelöst. Demjenigen der verzeihen soll, kommt eine ganz besondere Aufgabe zu: Er nimmt die Scherben in die Hand und schaut sie sich an. Vielleicht schneidet er sich daran auch die Finger, kein Wunder, sie können ja auch scharf sein.  Das erfordert aber die Courage, wirklich hinzuschauen und das „Leid“ oder den Kummer des anderen anzuschauen. 

Hier mag das Sinnbild der japanischen Kintsugi Schalen eine Handreichung sein. Bei dieser japanischen Reparaturmethode werden Keramik oder Porzellanbruchstücke mit Urushi-Lack geklebt. In diesen Lack wird Pulvergold oder andere Metalle wie Silber und Platin eingestreut. Man sieht also die zusammengeklebten Bruchstücke wie sie wieder als Ganzes wirken. 

Gerade für ein Verzeihen von etwas Größerem ist dies ein beliebtes Sinnbild in meinen Coaching.

Führungskräfte, die in sich Heimat haben und innerlich stabil sind, können metaphorisch gesprochen, in die Knie gehen und dem Gegenüber dabei doch in die Augen schauen. Dabei bleiben sie aber in ihrer inneren Größe und haben nicht das Gefühl, etwas zu verlieren. In diesem Bewusstsein innerer Größe, kann sie um Verzeihung und Wiedergutmachung bitten, eine Geste, die heilsam ist und dem Betroffenen hilft, sich wieder zu entfalten und die Dinge neu zu betrachten. Ein Gespräch über die vielfältigen Formen der Wiedergutmachung ist ein wertvoller Schritt, die Beziehungsqualität wieder zu stabilisieren.

Foto: Matt Perkins

Share This