Allzu oft höre ich in meinen Coachings oder Trainings Sätze wie „Das ist ein schwieriger Typ/Mitarbeiter!“ Es mag ja auch leicht sein, diese Aussage zu treffen.
Für mich gibt es mindestens zwei Lösungsansätze, die ich hier gerne vorstelle.
Der eine liegt in einem tiefen Verständnis für die Situation des betreffenden Menschen. Um dies zu bekommen hilft die Erkenntnis „Ein schwieriger Mensch ist ein Mensch in Schwierigkeiten“.
Für mich gilt nun, heraus zu finden, in welchen Schwierigkeiten jemand steckt, bzw. welche besondere berufliche und private Situation dieser Mensch gerade erlebt, um sich die Situation aus seiner Perspektive vorzustellen.
In meiner beruflichen Zeit in der Psychiatrie war es immer wieder sehr zentral, dass wir uns als Pflegefachkraft „in die Mokassins“ des Patienten stellten – so wie es das bekannte Zitat der Indianer „niemanden zu verurteilen in dessen Mokassins man nicht mindestens einen Monat gegangen ist“.
Lösung 2 ist eine Einladung zur Selbstreflexion.
Sie lautet: „Wo bereite ich einem anderen Menschen Schwierigkeiten?“
Ich habe mir erlaubt, sie aus dem Naikan zu entnehmen.
Diese Frage lernte ich bei einer nahen Freundin kennen, die auf einem Schweigeretreat war und eine ganze Weile über dieser Frage nachdenken musste/sollte/durfte.
Es ist die Frage, wem genau wir Schwierigkeiten bereiten.
Diese Frage ist ungewohnt, oder?
Meist sind Führungskräfte und andere Menschen mit hoher Verantwortung der Meinung, dass es die anderen Menschen sind, die selber schwierig sind oder deren Verhalten als „schwierig“ zu bezeichnen ist.
Und doch lohnt es sich, diese Frage ernster zu nehmen.
In meinen Coachings und Trainings arbeite ich öfter mit dieser Frage. Sie lädt zu einem – fast schon radikalen Perspektivwechsel – ein.
Mir sind im Laufe der Jahre – incl. der persönlichen Selbstreflexion diverse
Verhaltensweisen, Einstellungen und Haltungen aufgefallen, die Menschen in sich tragen, mit denen sie es anderen schwerer machen.
Das Besondere an dieser Frage ist unter anderem der Perspektivwechsel und eine große Chance, in die Verantwortung zu gehen.
Vielen meiner Klienten und Teilnehmenden ist oft gar nicht bewusst, welches Verhalten oder welche Einstellung/Haltung sie zeigen, die für andere Schwierigkeiten bereitet – sie denken, dass sei selbstverständlich.
Dazu gehören z.B.:
- „Sich etwas vormachen“ bis hin zur Lüge, incl. Selbstlüge. Wortbrüche etc.
- Oder die Dinge, die kommuniziert worden sind, wieder ändern…
- Nicht auf die Konsequenzen des eigenen Handelns schauen…gerade wenn es um Mitarbeitende und Teilnehmer o.ä. geht.
- Ausgeprägter Narzissmus oder Egoismus
- Fehlender Perspektivenwechsel für die Bedürfnisse des Anderen
- Missachtung der Bedürfnisse anderer Menschen
- Ungerechtigkeiten, fehlende Fairness und andere Wertekonflikte
Es gibt eine ganze Menge an Schwierigkeiten, die gerade Führungskräfte oder Menschen mit hoher Verantwortung anderen Mitmenschen bereiten – und diese oftmals gar nicht selber wahrnehmen oder einschätzen können.
Diese Frage ist also eine verlässlich Einladung, anderen Menschen das Leben leichter zu machen, statt sie in die Opferposition zu bringen.