„Ich setzte den Fuß in die Luft – und sie trug.“
Dieser eine Satz von Hilde Domin begleitet mich seit Jahren. Für mich ist sie eine der weiblichsten und zugleich stärksten Stimmen der Literatur. Ihre Worte öffnen Räume. Sie beschreiben nicht nur, sie führen. Und sie erinnern an etwas, das wir inmitten all der Prozesse, Pläne und Strategien oft vergessen: Wir gehen. Schritt für Schritt. Und wir wissen nicht, wohin.
Der Lebenspfad legt sich nicht vorab sauber sortiert unter unsere Füße. Wir wissen selten, was hinter der nächsten Kurve liegt. In Zeiten massiver Unsicherheit wird die Ungewissheit zur einzigen Gewissheit. Das Unbekannte wird zur Konstante. Und trotzdem – oder gerade deshalb – gehen wir weiter. Setzen einen Fuß vor den anderen. Auch wenn da scheinbar nichts ist.
Was ist das eigentlich – das Nichts? Gibt es das wirklich? Selbst beim Schritt ins Ungewisse haben wir doch immer etwas, das uns trägt. Die Luft. Der Moment. Der Mut. Es ist ein kraftvoller Akt, den Fuß zu heben. Und manchmal reicht ein Zentimeter, um eine neue Perspektive zu gewinnen. Um einen Gedanken anders zu denken. Um eine Bedeutung neu zu erfassen.
Das macht diesen Weg so besonders – und für viele so schwer. Denn wer geht, ohne zu wissen, was kommt, braucht Vertrauen. In sich. In den Weg. In das Leben. Es geht nicht darum, alles vorher zu wissen. Es geht darum, weiterzugehen. Und genau das ist für mich eine der zentralen Fähigkeiten von Selbstführung: In Bewegung zu bleiben, auch wenn keine Garantien existieren.
Woher also kommt der Trost? Woher kommt die Kraft? Sie liegt oft nicht im Außen. Sie liegt im Inneren. In der Fähigkeit, die eigene Idee zu benennen, ohne zu wissen, wie sie aufgenommen wird. In der Bereitschaft, einen Glaubenssatz zu hinterfragen, obwohl er jahrelang getragen hat. In der Akzeptanz, dass die Welt sich verändert, sobald wir neue Fragen stellen – und dass das wehtun kann.
Und doch führt jeder einzelne Schritt weiter. Vielleicht nicht sofort sichtbar. Vielleicht nicht spektakulär. Aber spürbar. Gerade für Menschen in Verantwortung ist das essenziell: Gehen zu können, ohne Sicherungsnetz. Entscheiden zu können, ohne Rückversicherung im Gewohnten. Den Mut zu haben, echte Wege zu gehen, statt nur abzustimmen, abzusichern, abzusprechen.
Denn am Ende zählt nicht, wer dich beklatscht, wenn alles funktioniert. Sondern wer mit dir gemeinsam durch die Unsicherheit geht. Wer den Schritt mit dir wagt. In die Luft. In den Raum dazwischen. In die Richtung, wo etwas Neues entstehen kann.