Ein leeres Blatt Papier – es liegt vor uns,

still und unbeschrieben. Für viele ist es ein vertrauter Moment, die sogenannte „Morgenseite“, die Stille am Morgen, in der die ersten Gedanken des Tages aufs Papier fließen. Man nimmt sich eine halbe Stunde, vielleicht nur zehn Minuten, setzt sich vor das leere Blatt und lässt Worte, Ideen und Gefühle entstehen. Für mich, als Schriftstellerin und Horizonautin, ist dieser Moment ein Ritual. Ich liebe Papier, Füller, Tinte und die besonderen Werkzeuge des Schreibens, die es ermöglichen, Gedanken und Inspirationen auf etwas Greifbares zu bannen – das Blatt Papier als stiller Begleiter des inneren Dialogs.
Doch was ist mit den Menschen, die diese Verbindung zum Papier verloren haben, die auf digitale Medien umgestiegen sind? Das leere Dokument auf einem Bildschirm kann etwas völlig anderes auslösen als das greifbare weiße Blatt. Es fehlt der Duft des Papiers, die Note, die es aufschlägt, wenn wir es anfassen.

Ein Klick, und die Worte verschwinden, unsichtbar, fast bedeutungslos. Gedanken können schnell überarbeitet, gelöscht, verändert werden, ohne Spuren zu hinterlassen. Aber was bedeutet das für unsere Achtsamkeit und das Spüren der eigenen Worte? Können wir in diesem digitalen Fluss noch die Tiefe erreichen, die uns ein echtes Blatt Papier bietet?
Manchmal denke ich an die alte Schreibmaschine und stelle mir Ernest Hemingway vor: das rhythmische Klappern der Tasten, das unveränderliche Abdruck des Satzes auf das Papier, Zeile für Zeile. Jedes Wort, das geschrieben wurde, blieb. Kein Löschen, kein Zurückgehen, keine schnelle Korrektur. Es war eine bewusste Entscheidung, und jedes Wort trug Gewicht. Die leere Seite in der Schreibmaschine verlangte Mut, den ersten Satz zu setzen – und die Hingabe, jedem weiteren Wort Raum zu geben.

In der digitalen Welt rasen wir oft an diesen Momenten vorbei. Ein Satz, der nicht passt? Schnell gelöscht und neu geschrieben. Doch was bleibt zurück, wenn wir die Tiefe, das Nachklingen und die Kraft unserer Worte nicht mehr spüren? Wenn wir uns so schnell überholen, dass wir die Seele unserer Sätze verlieren?
Deshalb plädiere ich für die Rückkehr zum Papier – für den Mut, sich vor das leere Blatt zu setzen, ohne die Möglichkeit, einen Satz einfach wegzuradieren. Auf Papier geschriebene Worte hinterlassen Spuren, auch in uns. Das leere Blatt schenkt uns die Möglichkeit, dem Ruf der Stille zu lauschen, uns in Ruhe und Tiefe mit dem auseinanderzusetzen, was in uns lebendig ist. Es ist ein Raum, in dem wir die Tiefe des Lebens neu erfahren, eine Seite nach der anderen.
Das leere Blatt lädt uns ein, innezuhalten, unsere Worte zu spüren und uns bewusst auf den Moment einzulassen. So wird das Schreiben zu einem Akt der Selbstführung und der Reflexion – ein Anker, der uns hilft, den nächsten Schritt bewusst zu setzen, Wort für Wort, Satz für Satz.
In einer Welt, die uns oft in Eile versetzt, bleibt das leere Blatt ein Ort der Entschleunigung und der inneren Klarheit. Und vielleicht ist es genau das, was wir heute brauchen: Die Stille des leeren Papiers und den Mut, unsere Gedanken zu Papier zu bringen, Seite für Seite, Schritt für Schritt.

Mit dieser Hingabe für das Schreiben auf Papier lade ich euch ein, die Tiefe eurer Worte wiederzufinden, ihnen Raum zu geben, ohne Hast, ohne digitalen Schnellgang. Lauscht dem leeren Blatt, das so vieles zu sagen hat, bevor der erste Buchstabe geschrieben wird – denn es hält die unendliche Möglichkeit in sich, eine neue Geschichte, eine neue Erkenntnis, eine neue Tiefe zu entdecken.

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